Erst heute ist mir wieder bewusst geworden, wie sehr ich meine selbständige Arbeit als Therapeutin liebe. Ich möchte nicht abstreiten, dass die Selbständigkeit auch Herausforderungen mit sich bringt, ohne Zweifel – dazu jedoch an anderer Stelle gerne mehr.

Nach meinen beiden 1:1 Gesprächen am Vormittag, konnte ich heute frei entscheiden, mich in meiner Mittagspause auf’s Fahrrad zu schwingen und eine kurze 10-Kilometer Runde durch den Wald zu fahren. Beim Schreiben dieser Sätze sehe ich mich rückblickend gerade auf dem Fahrrad sitzen, spüre der Bewegung meiner Beine nach und kann förmlich die frische Luft wahrnehmen, wie sie durch meine Lungen strömt. Nur beim Gedanken an diese Fahrt, entsteht bei mir gerade ein tiefer Atemzug und ich nehme ein Lächeln auf meinem Gesicht wahr.

Aber was genau ist in meiner Mittagspause eigentlich alles passiert?

 

Ich habe selbstbestimmt eine Entscheidung getroffen

Ich habe nämlich entschieden, was mir genau in diesem Moment gut tut. Und ich bin zeitlich flexibel und muss somit nicht zwingend darauf achten, wie es Anderen damit geht, wenn ich das tue, was ich gerade tue. Was für ein Luxus!

In meiner Arbeit in der Traumatherapie spielen Selbstbestimmtheit und die eigene Handlungsfähigkeit eine sehr große Rolle. Wenn Menschen traumatisiert sind, gab es für sie womöglich einen Moment in der Vergangenheit, in dem sie nicht handlungsfähig waren. Vielleicht hatten sie nicht die Möglichkeit, sich zu verteidigen oder aus einer bedrohlichen Situation davon zu laufen. Umso wichtiger ist es doch für uns, in der Gegenwart genau diese Momente zu erkennen, in denen wir handlungsfähig sind und selbstbestimmt eine Entscheidung treffen können und die idealerweise auch noch zu unserem Wohlbefinden beitragen.

 

Bei mir hat auf eine Art EMDR stattgefunden

Durch die abwechselnde Tretbewegung meiner Beine wurden meine beiden Gehirnhälften abwechselnd (bilateral) stimuliert. Diesen Effekt setzt man bei EMDR ein – eine Methode aus der Traumatherapie.

Beim wechselseitigen Stimulieren beider Gehirnhälften findet eine beschleunigte Informationsverarbeitung im Gehirn statt, währenddessen das neuronale Belastungsnetzwerk mit unserem Ressourcennetzwerk in Verbindung gebracht wird. Mögliche belastende Erinnerungen werden kurzzeitig an die Oberfläche geholt und neu verknüpft. Danach werden sie neu sortiert und verarbeitet wieder abgespeichert. Durch diese Neusortierung wird ein Trauma verarbeitet und das Ereignis wieder zu einer „normalen“ Erinnerung. Dieser Prozess führt zu einer merkbaren Stressentlastung.

 

Mein ganzer Körper konnte frischen Sauerstoff tanken.

Wir wissen alle, dass für unseren gesamten Organismus, Sauerstoff überlebensnotwendig ist. Durch die Zufuhr von Sauerstoff über unsere Lunge, nimmt unser Blut diesen Sauerstoff auf und befördert ihn an die Stellen unseres Körpers, an denen er dringend benötigt wird: Muskeln, Organe und unser Gehirn. Somit wird unser Körper nicht nur mit lebensnotwendigem Sauerstoff versorgt, sondern wir können erfahren, dass aus purer Luft eine wunderbare Ressource wird.

 

Ich habe Achtsamkeit erfahren

Beim Fahren durch den Wald musste ich mich oft sehr achtsam auf den unebenen Weg konzentrieren. Erst nach der Fahrt ist mir bewusst geworden, dass ich währenddessen keine anderen Gedanken zulassen konnte, außer auf den Weg zu achten. Mein Gehirn konnte somit während der Fahrt „abschalten“, zur Ruhe kommen, Gedanken sortieren und es ist wieder Platz für Neues entstanden – z. B. die Idee, diesen kurzen Blogbeitrag zu schreiben.

 

Ich habe durch Orientierung Sicherheit gespürt

Beim Radfahren war ich durch das Hin- und Herschauen die meiste Zeit dabei, mich zu orientieren. Dies dient in erster Linie dazu, den richtigen Weg zu finden, nicht über zu hohe Wurzeln zu fahren, Geräusche richtig zu deuten, die richtige Geschwindigkeit wahrzunehmen. Im Idealfall sind wir also durch unsere Sinne mit der Umwelt verbunden. Wir können abschätzen, ob wir uns in Gefahr, z.B. eine zu hohe Wurzel – oder in Sicherheit, z.B. in moderater Geschwindigkeit – befinden. Mit dieser Information kann unser Autonomes Nervensystem uns in jedem Moment die richtige Menge an Aktivierung oder Entspannung zur Verfügung stellen.

Wir teilen diese Orientierungsreaktion übrigens auch mit Tieren. Wenn beispielsweise ein Reh im Wald durch ein Knacken aufgeschreckt wird, hebt es den Kopf, sucht mit den Augen die Gefahrenquelle und wird sich, wenn keine Gefahr vorhanden ist, sehr schnell wieder entspannen.

Probiere es doch gerne einmal aus. Nutze die Kraft der Orientierung, wenn du merkst, dass du den lebendigen Kontakt zu dir durch Stress – der von innen oder außen entstanden ist – verloren hast. Du wirst spüren, dass es ein riesiger Unterschied ist, ob du nur weißt, dass keine Gefahr besteht oder ob du durch dieses aktive Schauen, die physische Erfahrung machst, dass du dich tatsächlich in Sicherheit befindest.

 

Und zum Schluss

Ich habe meine Sporteinheit für heute schon hinter mir …

… und mein innerer Schweinehund kam gar nicht erst dazu, mit mir eine Diskussion anzufangen, so schnell wie ich auf dem Rad saß 🙂


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